Ermittlerin in Sachen Liebe

LESEECKE: ERMITTLERIN IN SACHEN LIEBE

rezensiert von PUKI


April 2016




Dass man über Geschmack nicht streiten kannt, wussten schon die alten Römer, was uns aber nicht davon abhält, unsere Ansichten ständig zu diskutieren und gegeneinander abzuwägen. 

Und so möchte ich diese Rezension damit beginnen, die auf dem Buchcover zitierte Einschätzung des
Daily Mirror zu kontern, der nach niemand so wunderbar schreibe wie Alexandra Potter. Zugegeben, der Plot ist unterhaltsam und ganz nett zu lesen, an manchen Stellen sogar spannend und humorvoll – und nur am Rande sei bemerkt, dass die Verkörperung der weiblichen Bösartigkeit in Form eines blonden, vollbusigen Unterwäschemodels mehr als stereotyp ist. In Bezug auf die Sprache ist das Buch aber eine Strafe.

Viele Tätigkeiten der Protagonistin (Ruby) sind sprachlich irritierend und stören den Lesefluss, weil die gewählte Ich-Erzähler-Perspektive zusammen mit dem historischen Präsens kurze Handlungen, wie z.B. kurz die Stirn runzeln, nicht proportional zum Geschehen aufbläht, wie an der Stelle, als Ruby Kaffee trinken möchte und feststellt, dass er kalt ist: „(…) Angewidert verziehe ich das Gesicht (…)“. Der Leser wird hier von der Handlung abgelenkt und denkt über die Sprache nach, aber nicht etwa, um sie zu bewundern, sondern um zu überlegen, was hier nicht stimmt – und damit taucht er aus den Tiefen der Fiktion, auf die er sich einlässt, wieder auf, was sicherlich von der Autorin nicht beabsichtigt war.


Vor allem die erste Hälfte des Buches ist voll von klischeehaften Kollokationen („starr vor Entsetzen“ u.Ä.), wie man sie aus den eigenen Aufsätzen der Mittelstufe kennt – von einem Roman erwartet man etwas mehr sprachliche Kunstfertigkeit. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass in der Übersetzung einige interessante Elemente verloren gegangen sind, aber da sich der Roman sehr homogen im Hinblick auf seine sprachliche Überzeugungskraft gestaltet, dürfte es sich eher um ein grundsätzliches Problem handeln. Zur Übersetzung soll hier nur eine kurze Anmerkung vorgenommen werden – und zwar in erster Linie an die Verlagsabteilung gerichtet, die für die Titelfestlegung im Deutschen verantwortlich ist –, nämlich dass „Ermittlerin in Sachen Liebe“ im Vergleich zu dem englischen Titel „The Love Detective“ bieder und altbacken klingt. Dabei würde sich ein Sprachspiel anbieten, dass z.B. an Agent 007 anknüpft – warum nicht bspw. „(Geheim-/)Agentin Null Null Liebe“ oder zumindest „In geheimer Liebesmission“?


Enttäuschend ist auch das sprachliche Abbild Indiens. Während die Beschreibung Delhis auf jede größere indische Stadt passt: "(…) Masse an Menschen, der dichte Straßenverkehr, das turbulente Farbenspiel greller Saris, das Durcheinander hupender Taxen, der durchdringende Geruch nach Diesel und Abgasen, der sich mit Räucherstäbchen und Gewürzen mischt" (S. 160) – ist die Darstellung des Taj Mahals so fantasielos, als wäre sie anhand eines Fotos vorgenommen worden, dem man die wichtigsten architektonischen Fakten zu entnehmen versucht: "(…) Aus weißem, fast durchscheinendem Marmor leuchtet das Bauwerk im Sonnenlicht (…)" (S. 194) usw.


Solche „faktischen“ Darstellungen werden mit Reiseführerweisheiten vom Typ ‚Kühe sind im Hinduismus heilig‘ (vgl. 50) angereichert und versuchsweise mit poetischen Elementen durchsetzt, die jedoch an der Einfallslosigkeit der gewählten Vergleiche und Metaphern scheitern, wie in „das  Frühstück ist ein Gedicht“ (62).


Mit der Strategie, bei ihrem Indiendiskurs auf Fakten zu setzen, geht die Autorin zwar auf Nummer sicher und macht nichts „falsch“, aber auch nichts wirklich richtig, in dem Sinne, dass sie es nicht schafft, die Atmosphäre des Landes authentisch aufleben zu lassen.


Das trotz der sprachlichen Schwäche gut zu lesende Buch weist aber auch ein anderes Problem auf, nämlich ein logisches, was die gesamte Geschichte letztendlich unglaubwürdig macht. Dabei sind keineswegs die esoterisch-übernatürlichen Details gemeint, sondern die Frage, warum die Kontaktaufnahme zwischen Ruby und Jack als unmöglich dargestellt wird. Obwohl sie keine Telefonnummern oder Adressen ausgetauscht haben, wäre diese möglich, da Jack von seinem Mobiltelefon aus für Ruby eine Telefonnummer gewählt hat, und zwar die des Onkels ihres künftigen Schwagers. Warum ruft Ruby nicht dort an und bittet ihre Familie, die Nummer für sie im Telefonspeicher oder auf der Telefonrechnung nachzuschlagen? Oder warum geht sie nicht davon aus, dass Jack dort noch einmal anruft, wenn er mit ihr wieder Kontakt aufnehmen möchte? Ferner wäre es ihr möglich, in einem der Hotels, in denen sie beide übernachtet haben, nach Jacks Kontaktdaten zu fragen oder zumindest zu bitten, ihm in ihrem Namen eine Nachricht zukommen zu lassen. Letztendlich könnte sie an der Haltestelle, an der Jack in den Zug eingestiegen ist, dessen Daten ausfindig machen, da eindrucksvoll geschildert wurde, wie altmodisch und gleichzeitig zuverlässig das indische System der Datenrückverfolgung ist. Das „Märchen“ von den Liebenden, die sich in Indien zufällig kennenlernen, aus den Augen verlieren und, wie das Schicksal es nun mal so will, in einem Londoner Pub wiedertreffen, steht durch diese Unachtsamkeit in der Erzähllogik auf wankendem Boden, was schade ist, weil die Liebesgeschichte den schönsten Aspekt des Buches darstellt. 


Rezensiert wurde:
Potter, Alexandra (2014):
Ermittlerin in Sachen Liebe. Übers. Stefanie Retterbush. München: Goldmann. [Originaltitel: The Love Detective. London: Hodder and Stoughton, 2014.]

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